Ist der Sinn der Influencer*innen so schwer zu finden?

Symbiose aus Social Media, Nachhaltigkeit und natürlich $$$, Symbolbild von Martin H

„Jo, es ist doch jetzt gut!“

„Jo, es ist doch jetzt gut!“. So fing sie an, die verzweifelte Aufforderung und zentrale Aussage von Fynn Kliemann an seine Follower*innen, nachdem neue Medienberichte über buchhalterische Ungereimtheiten aufgetaucht sind. Ein hitziges, fast schon wutgeladenes Statement in einer kuriosen Mischung aus Fastgeschwurbel („die Redaktion, die das Leben vorschreibe“) und der sanften Bitte, es mit der Kritik an ihm irgendwann auch mal sein zu lassen.

Grund genug für mich, es nicht sein lassen zu können.

Nicht nur die Recherche des ZDF-Magazin Royale um Jan Böhmermann die offenbarte, dass Kliemann über seinen Geschäftspartner faire Masken aus Portugal aus Bangladesch und Vietnam für Spottpreise kaufte und zum Eigenverdienst verkaufte, zerstörte das Image des guten, woken Sinnfluencers Fynn Kliemann. Sondern auch, dass er mit dieser Aktion nach Anerkennung jagte.

Und wollen wir ehrlich sein, wie Jan Böhmermann es einst war, als er sagte: „Irgendwann hatten wir alle einen Kliemann im Gesicht“. Kliemann, der als Sänger, Gründer des Kliemannslands, NFT-Trader und was auch sonst einfach als omnipräsentes Multitalent auftritt, war einfach überall. Und überall tat er auch Gutes. „Soli-Beiträge“ über seinen Ferienwohnungsbetrieb, damit auch weniger betuchte Menschen in den Genuss eines Hygge-konzipierten Wohlfühlurlaubs kommen können, Spendenaktionen und eben diese Maskengeschichte, die sich doch als etwas ominös entlarvte. Aber trotzdem steckt da immer noch dieses Geschäftsmodell dahinter, oder? Woke Kleidung, woke Flaschen, woker Background und dazu auf Social Media. Das ist kein klassisches Influencer*innentum. Wir sprechen von den Sinnfluencer*innen.

Influencer*innen aber endlich mit Sinn!

Sinnfluencer*innen heben sich vor allem dadurch von anderen Influencer*innen ab, dass alles wofür sie Werbung machen, aber auch der Content, den sie von ihrem Leben teilen oft einen gewissen Sinn haben. Dieser Sinn liegt oft in Themen, die als woke gesehen werden, also einem kritischen Umgang mit Rassismus, gesellschaftlichen Machstrukturen und dem Konsum. Meist geht es um Nachhaltigkeit & Inklusion wie bei der Influencerin Madeline Daria Alizadeh in ihrem Label Dariadéh. Manchmal verschmelzen, wie bei Louisa Dellert, journalistische Ambitionen mit Werbung für grüne Produkte aus dem eigenen Shop und manchmal gibt es nur Werbung. Manchmal ist es als Aufklärung über Gender-Identitäten kaschiert, manchmal auch ehrlich als Werbung für den Einstieg ins Aktien shorten, wie Diana zur Löwen uns das zeigt. Sinnfluencer*innen gelten als nicht so „schamlos“ wie Influencer*innen, die scheinbar fast alles noch so moralisch verwerfliches machen würden; zum Beispiel eigene ominöse Fast Fashion Kollektionen wie Bibis Beauty Palace dies bei SHEIN tut. Sinnfluencer*innen sind also die moralisch höhere Instanz als die Ebene, die eine Münchner Richterin im Rahmen eines Verfahrens gegen Cathy Hummels um Schleichwerbung einst als „Influenza“ bezeichnete. Genau dadurch genießen Sinnfluencer*innen etwas, das aus ihrer größten Stärke schnell zu ihrer größten Schwäche werden kann: Sie inszenieren sich als die Menschen, die noch moralisch integer sind, die nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere denken. Sie zeigen auch die „ehrliche Seite“ des Influencer*innenseins, zeigen auch die Fragilität ihrer eigenen mental health und „kämpfen“ gelegentlich auch für die Anerkennung ihres Berufes als echten Beruf mit allem, was Berufen aus der Prä-social Media Ära ausmacht.

Das verloren geglaubte Aufstiegsversprechen


Was viele wohl gerne hätten, wenn sich ein Versprechen erfüllt… Symbolbild von Martin H

Und genau das macht auch Hoffnung. Der Film- & Ideologiekritiker Wolfgang M. Schmitt thematisierte dies und auch das Komplex der Influencer*innen mit seinem Podcastpartner aus dem Wirtschaftspodcast „Wohlstand für Alle“, dem VWL-Studenten Ole Nymoen in ihrem Buch „Influencer: Die Ideologie der Werbekörper“ analysiert. Das Influencer*in-Werden, so Schmitt und Nymoen, gilt in Zeiten von Unsicherheiten – wie zunehmende soziale Ungerechtigkeiten, Klimakrise und Pandemien – als eines der „letzten Aufstiegsversprechen“. Influencer*innen bauen eine besondere Beziehung zu ihren Follower*innen auf, indem sie diese durch ihren Alltag führen, schräge Challenges feiern, sich auch bis zu einem bestimmten Grad von einer intimen Seite zeigen und von der „morning routine“ bis zum Bettfertig machen einfach überall dabei sind. Und wenn nicht, dann sind sie Klatsch und Tratsch für die Promiflash-Schlagzeilen und das hat auch einen gewissen Charme.

Aber genauso wie ‚digitale Freund*innen‘ sind Influencer*innen auch Unternehmer*innen. Sie verdienen ihr Geld durch Werbepartnerschaften, ihrem eigenen Label und Merchandise oder durch Teilnahmen an gewissen Veranstaltungen. Manche inszenieren den dadurch resultierenden Lifestyle gekonnt und gewollt, viele sehen darin die Bestätigung für das Aufstiegsversprechen. Fang doch einfach selbst an, du weißt, du kannst es. Die meisten in unserer Generation Z sind auf Social Media, sie erfüllen also die grundlegendsten Voraussetzungen. Das macht es so leicht. Und für all jene, die genug haben vom permanenten Luxus-Flex, der scheinbaren Dauer-Werbung für problematische Marken und der Ignoranz gegenüber politischen Krisen, gibt es eben die Sinnfluencer*innen.

Hippie-Influencer*innen im Kampf zwischen woke und Kommerz

Sinnfluencer*innen sind aber immer noch Influencer*innen, daran ändert auch der Sinn nichts. Um das Sinnfluencer*innensein in der Qualität und Quantität von gewöhnlichen Influencer*innen aufrecht erhalten zu können und davon auch leben zu können, müssen auch diese Werbung machen. Sie gründen ihr eigenes Business und sind erschwerend dazu mit der permanenten Herausforderung konfrontiert, ihre eigens aufgebaute und inszenierte moralische Integrität durch irgendetwas Unmoralisches aufs Spiel zu setzen.

Genau das aber kann in ihrem Beruf immer passieren.

Selbstverständlich müssen wir hier differenzieren. Es gibt Situationen wie diese von Fynn Kliemann, der schamlos sein eigenes Image ausnutzte, um daraus Profit zu schlagen. Und es gibt ebenso die Möglichkeit einer Unachtsamkeit, die verzeihbar wäre, die menschlich wäre und die wir diesen Personen des öffentlichen Lebens auch nicht hoch anrechnen würden. Diana zur Löwen hat zum Beispiel nach einem umstrittenen Interview mit einem Journalisten des Handelsblatt nebst einer Entschuldigung auch eine Black Person of Colour zur Seite gezogen, um ein Learning aus ihrem Fehler zu ziehen. Anlass war, dass der von zur Löwen interviewte Journalist rassistische Äußerungen über die Wirtschaftskultur in afrikanischen Staaten tätigte.

Viel komplizierter wird dies, wenn das Sinnfluencer*innensein zu einer reinen Werbemarke verkommt. Ein besonders prominentes Beispiel bietet hier ebenfalls Diana zur Löwen. Die Influencerin und Unternehmerin hat auf Instagram über eine Millionen Follower*innen und teilt überwiegend Content über Achtsamkeit. Ähnlich wie viele ihrer Sinnfluence-Kolleg*innen entdeckte sie das „Politische und Nachhaltige“ um 2019 rum, als Fridays for Future und das ‚CDU Zerstörungsvideo‘ von Rezo einerseits die Hauptzielgruppe der Influencer*innen politisierte, andererseits jedoch auch ein neues Geschäftsmodell eröffnete. Besonders Kritik erntete zur Löwen nicht nur für Schleichwerbung, sondern auch für widersprüchliche Werbe-Messages wie dem Bewerben von Umweltbewusstsein beim Zelebrieren umweltschädlicher ETF-Fonds und vor allem der Inszenierung als Ally für verschiedene soziale Bewegungen, obwohl sie dies lediglich im Kontext von Werbeaufträgen, von denen sie profitiert, macht.

So kam es auch, dass gegen Ende 2019 das Start-Up Einhorn mit zahlreichen Sinnfluencer*innen ein „Demokratiefestival“ namens „Olympia #12062020“ für das Jahr 2020 ansetzen und dafür 29,95€ Eintrittspreis für das Event im Berliner Olympiastadion verlangen wollten. Das Event selbst wäre eine seltsame Vermischung aus Petition zur Weltrettung unterschreiben und Werbung für das Kondom-Start-Up Einhorn und Konsorten gewesen – zumindest, wäre die Corona-Pandemie nicht dazwischengekommen.

Nebst namhaften Persönlichkeiten wie Luisa Neubauer (obwohl sich Fridays for Future fast geschlossen von dieser Veranstaltung distanzierte) warben vor allem die Sinnfluencer*innencommunity und besonders prominent Diana zur Löwen und Louisa Dellert intensiv für dieses Event. Und so nobel das ganze doch klingt, von Seiten vieler Aktivist*innen aber auch von Schmitt & Nymoen in ihrem Podcast und Buch kam die Kritik, hier werde mit einem im Grundgesetz verankerten demokratischen Grundrecht, den wichtigsten Instrumenten der Demokratie, ein Geschäft gemacht. Und inwiefern ist das moralisch?

Wahrlich ist dies moralisch alles andere als vertretbar; gerade in einer Zeit, in der vor allem ärmere Gesellschaftsschichten das Vertrauen in die Politik verlieren. Aus Politik Kommerz zu machen, wenn es in der Politik nicht um das Geschäftsinteresse bestimmter Unternehmer*innen, sondern um die fundamentalsten Was, Wo, Wie, Wieso, Warum und allen anderen erdenklichen W-Fragen unseres Zusammenlebens geht, ist nicht nur eine Vorteilnahme für Unternehmer*innen zugunsten ihres eigenen Geschäfts. Sie schließt Menschen aus, denen die finanziellen Möglichkeiten verwehrt werden und das, weil sie sich die ‚grünen Produkte‘ nicht leisten können. Weil kommuniziert wird, die Ausübung von Demokratie wie auch das woke-Sein, ist an eine Bezahlschranke gebunden. Und das ist höchstproblematisch, vor allem, wenn Menschen diese Schranke nicht überqueren können.

Zwischen Krieg und Frieden im Influencer*innenuniversum

Nichtsdestotrotz müssen wir anerkennen: Viele junge Menschen wurden durch Sinnfluencer*innen politisiert. Auch, wenn das primäre Interesse in bestimmten Fällen ein rein geschäftliches gewesen ist, so haben diese dazu beigetragen, dass viele junge Menschen sich für Nachhaltigkeit und den sensiblen Umgang mit den Mitmenschen einsetzen, außerdem die Grenzen ihrer eigenen mentalen Gesundheit besser kennenlernen wollen.

Insofern bin ich hier in einer streitwürdigen, ambivalenten Position. Einerseits gilt es hier zu betonen, dass das Handeln von Influencer*innen und vor allem Sinnfluencer*innen immer mit einer vernünftigen Prise Skepsis zu betrachten ist. So einiges mag nicht stimmen, so einiges mag dreist sein und wie im Falle Kliemanns könnte auch einiges an krimineller Energie (die Staatsanwaltschaft Stade ermittelt gegen ihn) dahinterstecken.

Andererseits muss Folgendes anerkannt werden: Es gibt einige Sinnfluencer*innen, die sehr achtsam mit ihrem eigenen Geschäft, wie auch mit ihrer eigenen Darstellung ein Vorbild für viele Menschen sind und deren ernsthaftes Interesse gewürdigt werden sollte. Sie haben ihre Vorbildfunktion nicht dafür benutzt, um den ‚Flex‘ mit dem luxuriösen Lebensstil zu bewerben, sondern um sie auf Themen zu lenken die uns alle anbelangt und bei denen wir eigentlich vom Grundkonsens her auf einem Boot sitzen sollten.

Ich finde dadurch sind Sinnfluencer*innen nicht immer die besseren Influencer*innen. Sie können sogar die viel gefährlicheren sein. Dies, weil sie im aktivistischen und politischen Kontext als false friends erscheinen können: Sie erwecken einen progressiven Eindruck, doch in ihrem Handeln steckt nach wie vor der gleiche Mist. Gerade deshalb ist ein kritischer Umgang mit Sinnfluencer*innen allem zum Trotz so wichtig. Und dieser fehlt manchmal. So kommt es, dass wir einige von ihnen idolisieren. Wir zelebrieren sie und vergessen, dass das Problem ihnen trotzdem haftet: Sie sind Werbefiguren.

Kliemann fordert in seinem erhitzten und zurecht kritisierten Statement, ihn nicht als alleinigen Sündenbock zu sehen. Und in diesem Punkt möchte ich ihm zustimmen. Denn Kliemann tat in gewisser Hinsicht – auf höchst unmoralische Art und Weise – lediglich seinen Job als Influencer. Wenn auch er als Sinnfluencer gescheitert ist.

Martin H

Von Martin H

Durch die russischen Wurzeln politisert, ist es dem Tübinger Studenten der Politik und Slavistik durch das Erstarken rechter Gruppierungen ein besonderes Anliegen, politische Basics und Geschehnisse zu analysieren, kommentieren und seinen Leser*innen etwas mitzugeben. Martin tritt als Slam-Poet auf, ist Podcaster und hört ständig guten Indie-Rock.

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