27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Welt zu Besuch in Deutschland. Dieses hatte eine schwere Aufgabe vor sich. Die Erinnerung der Welt war noch geprägt von den letzten Olympischen Spielen von 1936. Hitlers Regime nutze die Spiele aus, um sich propagandistisch in Szene zu setzen. Leni Riefenstahl drehte einen Film zu Olympia 1936, mit dem sie die vorteilhafte Seite des Dritten Reichs präsentierte. 1972 sollte alles anders aussehen. München wollte sich weltoffen zeigen. Wenn Zuschauer*innen nach Deutschland blickten, sollten sie keine Polizisten sehen. Das erinnerte zu sehr an die Nazizeit. Einige israelischen Athleten*innen, die nach Deutschland kamen, haben es schon vorher betreten. Der Leichtathlet Shaul Ladany, der das Attentat in München überlebte, wurde während des NS-Regimes im Konzentrationslager Bergen-Belsen gefangen gehalten.
Bei den Sommerspielen 1972 war er außerdem einer der Geschädigten der Geiselnahme.
Elf israelische Athleten, ein deutscher Polizist und fünf Terroristen starben. 50 Jahre danach sind die Namen der getöteten Athleten nicht vergessen – auch wenn Deutschland sich schwergetan hat, die eigene Mitschuld einzuräumen. Den Angehörigen blieb nur, genau darum zu kämpfen. Dies geschah erst Jahrzehnte später.
4. September 1972 – am Vorabend des Terrorakts
Im Zuge der heiteren Spiele wollte Deutschland Brücken zu anderen Ländern bauen. ,,Das sind unsere Spiele, friedliche Spiele“, meinte Speerwerfer Klaus Wolfermann, der in München Gold gewann. ,,Wir wollen die Welt einladen, wir wollen miteinander feiern. Das war der Ausgangspunkt.“ Die Erinnerung an das Dritte Reich war frisch, zumal Shaul Ladany den Holocaust überlebt hat. Aber das sollte sich ändern. München polierte sich für die Welt. Schon Jahre vor den Spielen gab es Anzeichen für einen Terrorakt. 1970 haben palästinensische Terroristen in München-Reim versucht, eine Maschine der israelischen Airline El Al zu entführen. Die Bilanz: ein Passagier stirbt. Es war der Vorbote zu den Olympischen Spielen zwei Jahre später. Die Sicherheitsbedingungen im Olympischen Dorf an der Connollystraße 31 waren lockerer als gewohnt. Der Grund: Zuschauer*innen sollten nichts von bewaffneten Polizist*innen sehen. Das weckte zu schnell Erinnerungen an das NS-Regime. Am Abend vor der Geiselnahme gewann die westdeutsche Athletin Ulrike Mayforth Gold im Hochspringen. An diesem Tag rühmte sich Westdeutschland mit vier Goldmedaillen, die Euphorie war groß.
Stunden später schaute die ganze Welt nur noch auf die israelischen Geiseln in München.
4. September 2022 – München bereitet sich auf Gedenkfeier vor
Die Stadt bereitet sich auf die Jubiläumsfeier vor. Man war stolz darauf, dass die Welt vor 50 Jahren zu Gast in Deutschland war. Es laufen zahlreiche Veranstaltungen, um sich an Olympia 1972 zu erinnern: ein Erinnerungscafé wurde eingerichtet, damit Münchner*innen Erinnerungen und Sachen von den Spielen austauschen können. Die Stadt will die Erinnerung an die elf Opfer ins Programm einbinden. Den Terrorakt von München kann man nicht vergessen. Aber dass es eine Erinnerungsfeier an die elf israelischen Opfer gibt, war nicht immer selbstverständlich.
Ankie Spitzers Ehemann Andre war einer der Opfer des Terroranschlags. Was in München passierte, werde für immer in der Erinnerung ihrer Familie bleiben. Ihre gemeinsame Tochter war erst ein paar Monate alt, als ihr Vater starb. Für Ankie Spitzer war es wichtig, das Gedenken an Andre zu bewahren. Sie war nach dem Terroranschlag im Olympischen Dorf und berichtet von der Verzerrung im Zimmer: ,, Der Raum war ein einziges Chaos. Blut überall. Einschusslöcher. Teile der Wand waren heruntergekommen. Essen lag herum. Man hatte ihnen nicht erlaubt, auf die Toilette zu gehen.“ Ankie war gezwungen, die Geiselnahme über das Fernsehen mitzuverfolgen. Ihre Familie war vor dem Fernseher versammelt und sah der Geiselnahme zu. Einer der Terroristen nahm ihren Ehemann Andre ans Fenster mit – das war das letzte Mal, dass sie ihn lebend sah.
5. September 1972 – die Welt schaut bei der Geiselnahme zu
Ein paar DDR Athlet*innen wurden Zeugen von der Geiselnahme. Einen israelischen Athleten, Mosche Weinberg, erschießen die Terroristen sofort. Seine Leiche wird draußen liegen gelassen. Klaus Langhoff, Handballer, berichtet, dass dieser Anblick besonders furchtbar gewesen sei. Schnell darauf wird klar, worauf es die Terroristen angelegt haben: die Freilassung von 232 palästinensischen Gefangenen. Israel weigert sich, die Anforderung zu erfüllen. Der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Avery Brundage stellte sich vor der Welt, um die Botschaft zu verkünden: die Spiele müssen weitergehen. Das taten sie auch – aber die Stimmung hatte sich verändert. Klaus Langhoff meint, dass die Stimmung danach gedrückt war. Es fühlte sich komisch an, nach dem Tod der israelischen Athleten weiterzumachen.
Erinnerung an die Opfer
Die Angehörigen mussten Jahrzehnte dafür kämpfen, dass die toten Athleten nicht in Vergessenheit geraten. Obwohl es das war, was das IOC angestrebt hatte. Jahre danach hielt sich der Ton, dass Israel selbst Schuld an der Geiselnahme hatte, weil es nicht auf die Anforderungen der Terroristen einging.
Anke Spitze wusste von Anfang an, dass man sie nicht vergessen durfte: ,,Ich stand da und sagte mir: Darüber wirst Du nie schweigen. Die Leute müssen erfahren, was Menschen sich antun können. Wenn ich gesagt hätte, okay, ich gehe nach Hause und das war es, hätte ich damit nicht leben können.“ Mit anderen Angehörigen übte sie Druck auf das IOC aus. Erst 44 Jahre später, bei den Spielen 2016, hat der IOC-Präsident aus Deutschland Thomas Bach im Olympischen Dorf eine Gedenkfeier gehalten.
5. September 2022 in München
Israels Präsident Isaac Herzog besucht mit Bundespräsident Steinmeier das Olympische Dorf, um den Opfern zu ehren. Bisher hat kein Vertreter der Bundesrepublik aber Mitschuld an ihren Toden eingeräumt. München hat sich aber bemüht, ihr Gedenken zu bewahren. 2022 wurde einem israelischen Athleten ein Monat gewidmet, sein Leben und seine Leistungen werden in den Vordergrund gestellt.
Es mussten erst Jahrzehnte vergingen, bis im Olympischen Dorf an der Connollystraße eine Gedenktafel für die Opfer errichtet wurde. Besucher*innen werden diese Tafel sehen können, wo Jahrzehnte vorher nichts an den 5. September 1972 erinnerte. Ankie Spitzers Forderungen an ein würdiges Gedenken wurden Jahrzehnte abgelehnt, weil die IOC-Präsidenten meinten, dass die arabischen Länder etwas dagegen einwenden würden. Politik sollte sich nicht in die Olympischen Spiele einmischen.
Die zu lockeren Sicherheitsvorkehrungen im Olympischen Dorf blieben für Jahre ein Kritikpunkt. Bei der Geiselnahme bot die israelische Regierung an, selber eigene Truppen nach München zu schicken, um die Geiseln zu befreien. Deutschland lehnte dieses Angebot ab. Die Münchner Polizei war nicht gut ausgebildet, um die palästinensischen Terroristen alleine zu überwältigen. Bei dem Versuch, die Geiseln am Flughafen Fürstenfeldbruck zu befreien, schoss die Polizei los, ohne genau darauf zu achten, wer Geisel und wer Geiselnehmer war.
Wie bewahrt man ein würdiges Gedenken an die israelischen Sportler? Ankie Spitzer wusste seit der Ermordung ihres Mannes, dass die Welt das nicht vergessen durfte. Bundespräsident Steinmeier räumt ein, dass Gedenken an die Opfer zu spät gekommen sei: ,,Dass das 50 Jahre gedauert hat, ist in der Tat beschämend. “