So unterschiedlich wie ihre politischen Programme sind auch ihre Arten, den Koalitionsvertrag anzunehmen. Während die CDU den Vertrag nach einer Stunde und zwei Redebeiträgen mit 99% annahm, diskutierten die Grünen vier Stunden lang – Ergebnis: 85%. Kritik kam dabei vor allem von der grünen Parteijugend. Sie kritisierte, dass der Koalitionsvertrag bei der Beantwortung der wichtigsten Fragen unserer Zeit nicht weit genug gehe. Die Junge Union, Jugendorganisation der CDU, hingegen lobte den Koalitionsvertrag in ihrer „Dortmunder Erklärung“.
Doch was ist eigentlich drin für die Jugend?
Allein der Begriff „Jugend“ kommt 98-mal im Koalitionsvertrag und 4-mal im Sondierungspapier vor. Aber was steht denn eigentlich in den einzelnen Kapiteln?
Für die Zukunft Nordrhein-Westfalens
Gleich in der Einleitung stellen die beiden Parteien klar, dass sie künftigen Generationen durch ihre Politik ihre Freiheitsräume sichern wollen. Sie stellen die Bildung der Kinder als etwas für sie Wichtiges heraus, weswegen sie das neoliberale Versprechen machen, den Kindern unabhängig von ihrer Herkunft den Aufstieg durch Bildung ermöglichen zu wollen. Auch planen CDU und Grüne, den Hochschul- und Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zu stärken. In der Einleitung nehmen sich CDU und Grüne nichts Geringeres vor als die Zukunftschancen für alle Kinder, Jugendliche und Familien zu sichern sowie einen modernen Politikstil zu betreiben, der die Weltoffenheit und Vielfalt NRWs verkörpert.
Klimaneutrales Industrieland
In diesem Kapitel nimmt sich die Landesregierung vor, so schnell wie möglich entlang des 1,5-Grad-Ziels in NRW Klimaneutralität mit Netto-Null-Emission zu erreichen. Hierbei wird die Jugend zwar nicht explizit adressiert, aber falls die Landesregierung (und auch andere Regierungen, die die 1,5 Grad einhalten wollen) dieses Ziel erreicht, profitiert die jetzige Jugend in der Zukunft sicherlich davon.
Chancengleichheit im Bildungsland
Dieses Kapitel ist definitiv das Kapitel, in dem sich am meisten für die Jugend vorgenommen wird. CDU und Grüne stellen klar, dass Kinder im Fokus ihrer Politik stehen. Sie stellen den Anspruch an sich selbst, die bestmöglichen Bedingungen für das Aufwachsen der Kinder sowie gute Bildung für alle Menschen NRWs schaffen zu wollen. Die Landesregierung erkennt die Jugend als wichtige Lebensphase an.
Ein wichtiger Erfolg in diesem Kapitel ist definitiv das Vorhaben, das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 Jahre senken zu wollen. Auch soll das Alter für sachkundige Bürger*innen auf 16 Jahre gesenkt werden. Darüber hinaus sollen die Gemeindeordnungen weniger Hürden zur Beteiligung enthalten. Dazu möchte die Landesregierung gesetzliche Regelungen prüfen.
Es soll darüber hinaus der sogenannte „Jugend-Check“ eingeführt werden, bei dem die Folgen von Gesetzen auf Kinder und Jugendliche im Gesetzgebungsverfahren unbürokratisch geprüft werden können.
Im Koalitionsvertrag wird herausgestellt, dass der Kinder- und Jugendförderplan das zentrale Instrument NRWs zur Förderung der Jugendarbeit darstellt. Deswegen wird der Anspruch gestellt, diesen Plan noch mehr zu stärken und gezielt weiterzuentwickeln sowie inklusiver zu gestalten. Es soll geprüft werden, inwiefern eine Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche als ein Förderschwerpunkt in den Kinder- und Jugendförderplan integriert werden kann. Ist das genug?
Ein weiterer guter Punkt ist die Berücksichtigung der mentalen Gesundheit im Kinder- und Jugendförderplan.
Kommunen sollen mit einem inklusive ausgestalteten Förderprogramm dabei unterstützt werden, Spielplätze zu erhalten und diese ausbauen zu können.
Auch die Vernetzung zwischen den Generationen ist ein wichtiger Punkt in diesem Zukunftsvertrag, wie er von CDU und Grünen genannt wird. Das Wissen und die Erfahrung der älteren Generation soll für alle nutzbar gemacht werden. Deswegen soll für eine bessere Vernetzung zwischen den Generationen gesorgt und diese gefördert werden.
Des Weiteren wird im Vertrag festgestellt, dass Kinder und Jugendliche eine der vulnerabelsten Gesellschaftsgruppen sind und somit einen besonderen Schutz benötigen. Den Jugendämtern wird dabei eine zentrale Bedeutung zugeschrieben, weswegen die Qualität der Jugendämter sowohl erhalten als auch weiterentwickelt werden soll. Dafür benötigt es laut dem Koalitionsvertrag die Umsetzung einer Fachkräfteoffensive.
Auch der Kinder- und Jugend(medien)schutz wird dabei als wichtig angesehen. Dazu gehört für die Landesregierung die enge Begleitung der Umsetzung des ersten Landeskinderschutzgesetzes sowie die Prüfung von Werkzeugen gegen Cybergrooming. Ziel ist es außerdem, eine Fachkraftstelle für die Arbeit mit den im Frauenhaus lebenden Kindern und Jugendlichen in die Landesförderung der Frauenhäuser mitaufzunehmen.
Auch die Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut ist ein wichtiges Ziel der schwarz-grünen Landesregierung, da diese für sie jungen Menschen nicht ihre Chancen verbauen darf. Dazu soll ressortübergreifend das Aktionsprogramm „Pakt gegen Kinderarmut“ erstellt und umgesetzt werden. Auch die Unterstützung beim Aufbau einer Kindergrundsicherung wird festgeschrieben, damit die Situation der von Armut betroffenen und gefährdeten Kinder und Jugendlichen verbessert werden kann.
Um die Gleichstellung aller Geschlechter zu garantieren, sieht die neue Landesregierung die Berufsorientierung als einen ersten Anknüpfungspunkt. Dazu sollen die „Girls’ and Boys’ Academies“ weiterentwickelt werden.
Als Leitfaden für die Bildungspolitik dient das Wohl der Kinder und Jugendlichen.
Die Landesregierung verpflichtet sich dazu, Schüler*innen nachhaltig und individuell zu fördern.
Inklusion wird als Aufgabe aller Schulen angesehen. Um Eltern und Schüler*innen Freiheit bei der Auswahl der Schule durch ein gutes Schulangebot machen zu können, soll der „Aktionsplan Schule“ erstellt werden. Außerdem wird angestrebt, die Grundsätze der Kultusminister-Konferenz (KMK) zur Rechenschwäche überarbeitet werden. Bis diese Überarbeitung erfolgt ist, soll geprüft werden, wie ein Nachteilsausgleich landesrechtlich geregelt werden kann.
Auch im Bereich des digitalen Lernens ist geplant, einige Maßnahmen zu ergreifen: Datenschutzrechtliche Fragen sollen geklärt werden und die Ausstattung von Lehrkräften und Schüler*innen, z.B. mit digitalen Endgeräten, wird als erforderlich angesehen. Um die Medienkompetenz zu steigern, werden bestehende Angebote in den Bildungseinrichtungen gestärkt und miteinander vernetzt. Auch Unterrichtseinheiten dazu sind geplant.
Der Bedarf nach einer besseren psychisch-sozialen Unterstützung für Schüler*innen und Lehrkräfte wird gesehen. Dafür ist geplant, gemeinsam mit den Kommunen Lösungen erarbeitet werden.
Schulunterricht doch erst um 9 Uhr?
Good news für alle, die gerne etwas länger schlafen: Es wird formuliert, dass den Schulen die Möglichkeit gegeben wird, den Schulbeginn auf spätestens 9 Uhr festzulegen. Dafür ist dann der Beschluss der Schulkonferenz nötig.
Auch das duale Ausbildungssystem soll inklusiver werden. Dafür sollen entsprechende Projekte konstruktiv begleitet und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus ist beabsichtigt, Schüler*innen die berufliche Bildung früher kennenlernen zu lassen, damit sie ein umfassenderes Bild über sie erhalten. Auch die Einrichtung von Azubi-Wohnheimen wird befürwortet. Auch die Teilnahme von Azubis an Austauschprogrammen soll erhöht werden.
Die gute Nachricht für alle, die vorhaben, in den kommenden Jahren Lehramt oder einen erziehungswissenschaftlichen Studiengang in NRW zu studieren: Es ist geplant, die Studiengangskapazitäten für diese Studiengänge zu erhöhen und weitere erziehungswissenschaftliche Studiengänge einzuführen! Praxisanteile sollen erhöht und früher begonnen werden.
Ein weiterer Erfolg: #Sowibleibt! Denn das Studienfach Sozialwissenschaften wird in seiner bisherigen Form fortgeführt werden. Auch im Bereich des Medizinstudiums tut sich etwas, da die Zahl der Medizin-Studienplätze bedarfsorientiert erhöht wird. Generell sollen Studienanfänger*innen zu erfolgreichen Absolvent*innen gemacht werden.
Ein wichtiges Bekenntnis nach zwei Jahren Pandemie und größtenteils digitaler Lehre an Hochschulen: Auch in Zukunft sollen die Hochschulen Präsenzhochschulen bleiben.
Außerdem möchte sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass studentische Hilfskräfte dem Tarifvertrag der Länder zugeordnet werden.
Auch im Zuständigkeitsbereich der Studierendenwerke wird sich einiges tun: So sollen ebendiese gestärkt werden und es ist Ziel der Landesregierung, 10% der Studierenden öffentlich geförderte Wohnheimplätze zur Verfügung stellen zu können. Auch BaföG-Anträge müssen digitalisiert werden.
Für Studierende aus schwierigen Lebenslagen ist der Erhalt einer Studienstarthilfe von jeweils 1000 Euro geplant. Bereits vorhandene soziale und psychologische Beratungsangebote für Studierende sollen erhalten und gestärkt werden.
Sicherheit in einer offenen Gesellschaft
In diesem Kapitel ist für Jugendliche relevant, dass die Bekämpfung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gestärkt werden soll. Dazu werden kindgerechte Verfahren in Justiz und Polizei gestärkt werden und diese Verfahren beschleunigt. Da Ermittlungen in diesem Bereich die Opfer und ihr Umfeld stark belasten und zu einer Retraumatisierung führen können, werden unter anderem die Voraussetzungen für altersgerechte sensible Vernehmungen geschaffen. Auch Fortbildungen für die Polizei rund um den Bereich des Kinderschutzes und der kindgerechten Vernehmung sollen bedarfsgerecht ausgeweitet werden.
Auch in diesem Kapitel wird noch einmal betont, dass das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren bei Landtagswahlen eingeführt wird. Ebenfalls ist ein Programm, das besonders Jugendliche anspricht, in Planung, um eine demokratische Grundhaltung zu stärken.
Sozialer Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs
Die Landesregierung spricht sich im Koalitionsvertrag für die Unterstützung der Planungen für eine zusätzliche Finanzierungskomponente für die Vorhaltung von Fachabteilungen für Kinder und Jugendliche beim Bund sowie die Stärkung der Kinderkrankenpflegeausbildung ein.
Auch die Stärkung von Aktivitäten im Bereich der Prävention von Beginn an wird angestrebt. Dies soll insbesondere durch Aspekte wie gesundheitliche Bildung und Gesundheitsförderung in Schulen und Kitas in benachteiligten Gebieten erfolgen.
Ebenfalls wird in diesem Kapitel noch einmal deutlich gemacht, dass die schwarz-grüne Landesregierung die Themen Studieren/Ausbildung und Wohnen Zusammendenken möchte. Daraus ergibt sich für die Landesregierung der Auftrag, die Sanierung von Studierendenwohnheimen in Zusammenarbeit mit dem Studierendenwerken umzugsorientierter anzugehen.
Ebenfalls wird im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass queere Kinder- und Jugendarbeit ausgebaut wird. Besonders Angebote für queere Jugendliche im ländlichen Raum sollen gestärkt werden.
Es ist geplant, dass der Aktionsplan „Schwimmen lernen in Nordrhein-Westfalen“ weiterentwickelt wird, damit jedes Kind zukünftig sicher schwimmen kann.
Auch der Freiwilligendienst wird wahrscheinlich attraktiver gestaltet werden.
Generationenverantwortung: Finanzen und Haushalt
In diesem Kapitel wird festgeschrieben, dass der Haushalt ohne neue Schulden aufgestellt werden soll. Dies wird damit begründet, dass dies die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse (mit Ausnahme von Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen) als Voraussetzung für eine nachhaltige und generationengerechte Haushaltspolitik vorsieht. Außerdem möchte die Landesregierung insbesondere in die Bereiche Infrastruktur, Bildung, sozialer Zusammenhalt und Sicherheit sowie Klimaschutz und Klimafolgenanpassung investieren, was größtenteils nicht gerade unwichtige Bereiche für die junge Generation sind. Die Landesregierung erkennt endlich an, dass es in diesen Bereichen einen großen Investionsbedarf gibt. Auch für junge Menschen und Familien soll es vereinfacht werden, Wohneigentum zu bilden. Zuletzt sollen Bildungsabschlüsse flexibler anerkannt werden.
Fazit
Die schwarz-grüne Koalition hat sich einiges für die nächsten fünf Jahre vorgenommen, was die Jugend betrifft. Jetzt gilt es, dies umzusetzen. Dafür braucht es nicht nur eine handelnde Landesregierung, sondern auch die Jugendorganisationen der Parteien und die Zivilgesellschaft, die die Landesregierung kritisch begleiten.
Mit Punkten wie den der Folgen der Corona-Pandemie als Förderschwerpunkt im Kinder- und Jugendförderplan geht die Landesregierung weiter als die Landesregierung zuvor. Allerdings ist fragwürdig, ob alleine die Prüfung, ob es diesen Förderschwerpunkt geben soll, nach über zwei Jahren Pandemie und einigen Untersuchungen zu diesem Thema, wie z.B. vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, weit genug geht. Oder um es wie Alba de Curtis – Mitglied der Grünen Jugend – auf dem Parteitag der Grünen auszudrücken vermochte: „Im Koalitionsvertrag steht 125-Mal das Wort „prüfen“. Was wollen wir denn noch prüfen? Die Fakten sind doch schon längst klar!“